Hiltrud Beyer


Das Licht der Welt. 1963. Dortmund, die Stadt mit ihren grauen Häusern, geschwärzt vom Kohlenstaub, beleuchtet des Nachts vom großen gelben U.

In den Straßen kleine Buden, vor denen unheimliche Männer stehen und Bier trinken. Ein Ort der Verheißung: weiße Mäuse, schwarze Lakritzschnecken, rote Kirschlollis, gleich hinter der Glasscheibe. Eine kleine Papierspitztüte voll für kupferne Groschen. Vier Stück davon für meine Schwester, meine zwei Brüder und mich.

Ein kleiner grauer Hinterhof. Im Balkon im ersten Stock ein Kasten mit leuchtend roten Geranien, unwirklich, wie aus einer anderen Welt. Die große Tür im Hof führt zum Reich des Großvaters und Vaters: dem Reich des Holzes, der leichten Späne, der schweren Bretter, der Sägen, Zwingen, Hobel. In der Luft der Geruch von Leim, Lösungsmittel, Holz, am Haken die blauen Arbeitsjacken.


Eine neue Welt. 1973. Hamburg, ein grüner Stadtteil am Rande, mit einem Bach und lauter bunten Blumen im Garten. Das Reich der Mutter: Schmetterlinge, lila Flieder, orangene Fische in der alten eingegrabenen Badewanne, weiße Apfelblüten, rote Dahlien. In der Küche der gelbe Kanarienvogel. Gesang im ganzen Haus. Meine Mutter am alten Klavier, auf dem ein Foto ihrer Mutter steht, in schwarz-weißer Bluse mit silberner Brosche. Das Reich der schönen Kleider und des Schmucks. Der Rosenquarzring und die Goldkette bei besonderen Anlässen.

Der neue Wirkungskreis des Vaters: die Kirche. Leuchtend bunte Glasscheiben, die gelbe Ähren zeigen und grüne Gräser. Das dunkle Rot des Weines beim Abendmahl, das weiße Brot, der Goldschnitt der Bibel.


Studium. 1983. Lila Latzhosen, langhaarige Sponties, endlose Diskussionen, Demos, die erste eigene Wohnung. Experiment, Suche, Weichenstellung. Die große bunte Welt, mal strahlend hell, mal trüb und dunkel.

Zu Dritt bringen wir eine dadaistische Literaturzeitschrift heraus, schreiben, fotografieren, zeichnen, kleben, kopieren, lesen, verkaufen.

Arbeit für den Rundfunk als Autorin. Ein Kinderbuch entsteht. Mitarbeit an zwei Büchern.



Der Weg in die Schule. 1990. Arbeit als Lehrerin. Beglückend, erfüllend.

Ein Mann kommt daher, der anders ist als die Männer davor: schwarz gekleidet, mit Fellschuhen, lauter Silberringen und neuer Musik. 1997. Der siebte Himmel. Hochzeit. Alles wird anders.

Zwei Jahre Leben auf dem Land, inmitten grüner Wiesen mit schwarz-weißen Kühen. Musik, Kunst, Film, Fotografie, Literatur: all das fließt zusammen. Gemeinsame Auftritte mit einer multimedialen Musikperformance. Reisen im angemalten Bus. Das Licht Südeuropas.


Rückkehr nach Hamburg. 2001. Kunstlehrerin auf St. Pauli. Hamburg von unten, Leben mittendrin. Unsere Roma-Nachbarn erweisen sich als unbändige Sippe, die Mädchengruppe, bei der ich mitmache, als lauter, lebendiger Haufen.

Um die Ecke Bambule, der Bauwagenplatz mit den bunten Graffities, der geräumt wird, kurz bevor wir die Stadt verlassen.


Die Heide. 2003. Lila blühende Flächen, dunkelgrüner Wacholder, helle Birkenstämme. Durchatmen, aufatmen. Die Entscheidung für die Kunst.

Aus der Heide in den Wald. 2004. Bäume fällen, Holz hacken, den Ofen befeuern. Unser kleines Holzhaus steht am Rand des Waldes, zwischen all den Fichten, den Birken, Ahorn, Buchen, Kastanien, Lärchen, Walnuss- und Haselnussbäumen. Zwei Apfelbäume pflanze ich, zartrosa Blüten, rote Äpfel. Rehe nachts im Vollmond neben dem Fenster, tags die Blumenknospen knabbernd auf der Lichtung. Vögel in Hülle und Fülle. Grün grün grün. Der Duft des Waldes. Die Ruhe.

Arbeit mit Naturmaterialien. Abstrakte Malerei. Kunstprojekte mit Kindern. LandArt. Kunst im öffentlichen Raum.


Dann der Ruf des Meeres, dem wir sofort folgen. 2015. Leben an der Küste, ganz im Norden. Meeresblau, Himmelblau, Blau in allen Varianten, und weiß. Überall Sand, im Auto, im Bad, in den Schuhen. Die Weite und das Licht.

Realismus in den Bildern: Taucher, Möwen, Schiffe, spielende Kinder am Strand, Buhnen.

Klarheit. Es lichtet sich. Das Licht der Welt.

2019. Ein Weckruf holt das Schlafende ans Licht: Spiel, Spiel! Die Freiheit und Freude des Spielens.

Meine künstlerische Vielfalt : das Spiel des Lebens.